Warum immer die Victory ?
Diesen Spruch hat Anfang der 80er Jahre Wolfram zu Mondfeld in einem Logbuchartikel geprägt. Es ging hierbei eigentlich darum, dass sich Heerscharen von Modellbauern einem Nachbau der Victory verschrieben haben. Ihr charmanter und interessanter Gegenspieler bei der Schlacht von Trafalgar ist hingegen nahezu ein Underdog.
Der Spruch ist nun vor 40 Jahren getätigt worden, bzgl. der Redoutable hat sich aber immer noch so gut wie nichts getan.
Es gibt zwar einige Modelle auf denen Le Redoutable draufsteht, aber meines Wissens nach gibt es nicht eine einzige ernsthafte Rekonstruktion dieses faszinierenen Schiffes.
Im Oktober 2020 hatte ich mit einem guten Freund wieder mal die Diskussion welches Modell ich nach der La Belle in Angriff nehmen könnte. Wir beide sind da ziemlich kreativ und Ideen für potenzielle Projekte gehen uns da eigentlich nie aus. Er brachte die Redoutable ins Spiel. Für mich war klar, dass dieses Projekt aufgrund der schlechten Faktenlage eigentlich absolut uninteressant war. Ich kann mich nicht mehr erinnern wie und warum, aber ich begann dem Schiff hinterher zu recherchieren. In den üblichen Quellen trifft man immer nur auf die gleichen Informationen. Jean Boudriot 74er und es gibt keine Dokumentationen mehr zu dem Schiff.
Da ich die Schiffe nicht nur herunter baue, sondern auch immer versuche zu verstehen, was da auf der Werft vor sich ging, bin ich mal etwas tiefer in Fakten, Zahlen eingetaucht. Das Baudatum der Le Suffren (der erste Name der Le Redoutable) ist sehr gut dokumentiert. Zeitgenössische Dokumentationen konnte ich im Netz keine finden. Der Service Historique de la Defense sowie das Museum in Paris/Brest konnten mir nicht ein Detail liefern. Es war so als hätte dieses Schiff nie existiert.
Zu Jean Boudriot´s 74er muss man sagen dass er keine Temeraire-Klasse darstellt und als Referenzwerk hierfür nicht geeignet ist. Ein geniales Werk, eine sehr gute Hilfe um den Rohbau zu verstehen, aber in nahezu allen technischen Details weicht die Temeraire-Klasse von Boudriot´s 74er ab. Es ist ein anderes Schiff.
Da ich in der Tat keinerlei Informationen über die Redoutable finden konnte, begann ich mir ihre Schwesterschiffe näher anzusehen. Genau in dem Zeitfenster der Suffren/Redoutable wurden in Brest sehr viele Temeraire-Klasse 74er gebaut. Im National Maritime Museum konnte ich die Pläne der America und der Le Tigre ausfindig machen. Zum Glück sind beide Pläne “taken as”, sprich direkt nach dem catch aufgemessen worden. Die America wurde vor der Suffren/Redoutable gebaut, die Le Tigre danach. Alle drei Schiffe liefen in Brest vom Stapel. Ein Vergleich mit der America und der Le Tigre zeigt erstaunliche Ähnlichkeit. Bis auf ein paar minimale Abweichungen erkennt man hier das identische Schiff. Das bedeutet, dass die Schiffe alle nach einem gewissen Schema produziert worden sind. Als logische Konsequenz bedeutet dies, dass die Le Suffren/Le Redoutable absolut baugleich zu vorliegenden Plänen gewesen sein muss. Die Fakten sind nicht bekannt, aber die Logik lässt keinen anderen Schluss zu.
Mit welchem Plan könnte man nun ins Rennen gehen ? America oder Le Tigre ?
Es gibt das berühmte zeitgenössische Bild von Crepin (Titelbild). Zusätzlich gibt es noch Bleistiftzeichnungen von ihm über die Schlacht mit der Victory. Der Heckspiegel lässt sich auf vielen Darstellungen perfekt erkennen. Von der America gibt es ebenfalls zeitgenössische Zeichnungen von Louthembourg nach der Schlacht vom 13. Prairial (1. Juli 1794). Man erkennt hier dass das Heck etwas stärker verziert ist. Die Redoutable zeigt aber auf den Bildern ein etwas moderneres Heck. Der Blick auf den Plan der gecatchten Le Pompee aus Toulon zeigt ebenfalls ein modernes Heck analog der Le Redoutable. Le Pompee´s Baujahr und das Baujahr der Le Tigre liegen nur ein Jahr auseinander. Damit war dann der Plansatz der Le Tigre als Rekonstruktionsgrundlage für die Le Redoutable gesetzt. Im Dezember 2020 begann ich mit den Vermessungen und ich konnte die Außenhülle im CAD aufbauen.
Anbei die Pläne der Le Tigre aus dem National Maritime Museum. Sie können dort bestellt werden.